Mein Name tut nichts zur Sache. Ich bin Strafgefangener und seit mittlerweile 12 Jahren eingesperrt. Die letzten Jahre habe ich in den Anstalten Garten, Stein und Graz-Karlau verbracht. Seit 2021 darf ich die netten Räumlichkeiten in Graz bewohnen.
Jetzt, so kurz vor Weihnachten, wo man ständig in den Medien über das Thema „stolpert“, wollte ich jedem Interessierten einen Kontrast bieten. Weihnachten, wie es in Gefängnissen abläuft. Vom aktuellen Jahr kann ich natürlich noch keine ausführlichen Informationen, bieten, bemühe mich aber es so authentisch wie möglich zu schildern.
Um diesen Bericht nicht unnötig lange zu gestalten, beschränke ich mich auf das letzte Jahr. Die Jahre davor liefen allerdings nicht anders ab. Nur die Personen änderten sich jedes Jahr.
Ich arbeite als Hausarbeiter in Graz auf einer Abteilung in der §21 Insassen untergebracht sind. Also Insassen mit dem „Maßnahmenparagraphen“. Sogenannte „geistig abnorme“ Straftäter. Allerdings muss ich sagen, dass von den Insassen auf „meiner“ Abteilung mir noch keiner wirklich „geistig abnorm“ gekommen ist. Ich kann mich mit jedem vollkommen normal unterhalten und selbst in angespannten „Krisensituationen“ ist meistens Ruhe und Gelassenheit an der Tagesordnung. Wenn ich das mit der teilweise sehr cholerischen und hektischen Art von einigen Personen außerhalb der Gefängnismauern vergleiche, frage ich mich, ob die Richtigen hinter Gitter in der Maßnahme angehalten werden. Aber gut.
Mein Job besteht darin, den Betrieb auf meiner Abteilung am Laufen zu halten. Dazu zählen in erster Linie die Reinigung der Gänge, Haftraumtüren, Duschen, und anderer, gemeinschaftlich zugänglichen Orte und Räume. Außerdem bin ich dafür verantwortlich, dass die Insassen meiner Abteilung in regelmäßigen Abständen ihre Hygienepakete erhalten. Einmal im Quartal hat jeder Insasse das Recht auf zwei Rollen Toilettenpapier, eine Tube Zahncreme, eine Zahnbürste, Duschgel, Rasierschaum und einen Einwegrasierer. Hat schon mal wer versucht mit diesen Dingen drei Monate lang auszukommen? Es ist schlicht nicht möglich. Aber gut. Außerdem bin ich dafür verantwortlich das tägliche Essen zu holen.
Das ist einerseits das Mittagessen, das von der Anstaltsküche in einen Transportwagen und dafür vorgesehene Behältnisse gepackt wird. Diesen Wagen führe ich dann auf die Abteilung und gebe das Essen an die Insassen aus. Abends gibt es immer kaltes Essen. Meistens handelt es sich dabei um ein Stück Käse oder ein Stück Wurst. Ab und zu hat man bestimmte „Highlights“ mit dabei wie z.B. ein Gurkerl oder eine Tomate oder auch mal eine Zwiebel.
Auf die anderen Aufgaben in meinem Job möchte ich nicht so genau eingehen. Aber es gehört auch etwas Logistik und Planung dazu. Im Grunde genommen läuft der Betrieb einer Abteilung ohne einen ‚Hausarbeiter nicht. Denn dann müssten sämtliche Arbeiten von Beamten verrichtet werden… und ich kann mir kaum vorstellen, dass einer der Beamten bereit wäre eine Dusche oder eine Toilette zu putzen.
Kommen wir zurück zum eigentlichen Thema. Weihnachten und wie es hinter Gitter verbracht, gefeiert und erlebt wird.
Etwa zwei Monate vor Weihnachten gibt es meistens bei uns einen Aushang in dem auf den kommenden „Weihnachtsbesuch“ hingewiesen wird. Ein Besuch, bei dem Angehörige für etwa 1,5 Stunden gemeinsam mit ihren ‚Insassen im Besucherraum bei leiser Weihnachtsmusik, ein paar Keksen und einem Löskaffee zusammensitzen können. Eine besinnliche Stimmung, wie man das von Weihnachten erwarten würde, kommt dabei nicht wirklich auf. Das liegt allerdings nicht daran, dass man es nicht versuchen würde. Der dafür verantwortliche Mann gibt sein Bestes. Seine Möglichkeiten sind allerdings äußerst eingeschränkt. Der Weihnachtsbesuch findet meistens zwei bis maximal drei Wochen vor Weihnachten statt. An diesem Tag werden alle Insassen grundsätzlich eingesperr.t. Offene Türen gibt es da nicht. Eigentlich sinnlos, denn um von einem Haftraum in den Besucherraum zu gelangen müsste man durch mehrere Schleusen durch, was vollkommen unmöglich ist. Aber bitte. Dann werden die Insassen zu den Besuchen geholt. Anzumerken wäre, dass man sich für den Besuch anmelden muss. Das Kommando der Anstalt entscheidet dann, ob man einen derartigen Besch haben darf oder nicht. Der Besuch selbst verläuft in etwa wie jeder andere Besuch, nur das er mit 1,5 Stunden dreimal so lange ist wie ein Herkömmlicher. Auch die Kekse und der Löskaffee sind beim normalen Besuch eher untypisch. Um Schmuggel zu unterbinden, müssen Besucher und Insassen eine oft sehr nervende „Begutachtung“ über sich ergehen lassen. Außerdem ist die Polizei mit ihrer Hundestaffel anwesend. Hunde, die Drogen erschnüffeln sollen.
Der Weihnachtsbesuch ist eine nette Abwechslung, verdient aber den Namen nicht wirklich. Je näher Weihnachten kommt, desto nervöser werden die Bediensteten. Man merkt es sehr deutlich. Das liegt hauptsächlich daran, dass um die Weihnachtszeit natürlich auch die Konfliktbereitschaft steigt. Vor allem aber daran, dass in den meisten Fällen auch die Suizidanzahl steigt. Ich persönlich habe schon insgesamt sieben Mal miterlebt, wie beim Öffnen einer Haftraumtüre am Morgen, jemand leblos in seinem Haftraum gelegen oder gehängt ist. Kein schöner Anblick, das könnt ihr mir glauben! Dennoch wird meistens auch von Seiten der Beamten versucht das Beste aus der Situation zu machen.
Die zuständigen „Stockchefs“ (= Beamte, Abteilungsleiter der jeweiligen Etage) organisieren meistens einen (kleinen) Weihnachtsbaum. Dabei ist es dann meine Aufgabe, diesen zu holen und zu schmücken. Ob er Beachtung findet oder nicht, kann ich nur vermuten. Eher nein und so frage ich mich, ob das wirklich sein muss, dass man Jahr für Jahr unzählige Bäume tötet, nur damit sie dann nach Weihnachten entsorgt werden? Ab und zu erhalte ich auch Dinge wie z.B. künstlichen Schnee oder andere Utensilien mit denen ich die Abteilung ein wenig weihnachtlicher gestalten kann. Dann gehe ich her und sprühe diverse Motive auf die Haftraumtüren oder die Wände. Meistens eher auf die Türen, denn die Wände muss ich danach auch wieder reinigen. Eigennützig, ich weiß.
Eine Weihnachtsfeier auf den einzelnen Abteilungen gibt es nicht. Dafür gibt es allerdings Feiern in den einzelnen Betrieben. Ich kenne derartige Feiern, weil ich nicht immer Hausarbeiter war, sondern früher in einem Arbeitsbetrieb gearbeitet habe. Diese Feiern laufen eigentlich immer gleich ab. Egal wo man arbeitet. Meistens finden sie auch etwa zwei bis eine Woche vor Weihnachten statt. Schon vorher wird von den Betriebsbeamten gefragt, was man essen möchte. Die Mehrheit entscheidet dann. In der Regel wird von den Betriebsbeamten das Essen organisiert und für diesen Tag geben sich die Insassen in der Anstaltsküche ganz besonders Mühe. Ab und zu greift sogar der Chef der Anstaltsküche selbst zum Kochlöffel. Im Grunde genommen gibt es das herkömmliche Anstaltsessen, nur etwas besser zubereitet. Bei meiner letzten Feier gab es z.B. Putenschnitzel mit Pommes. Ehrlich gesagt, war es nicht mal schlecht. Ein typisches Gasthaus draußen könnte es nicht besser zubereiten. Einige Betriebschefs gehen allerdings auch her und machen etwas „ganz Besonderes“. Nämlich dann, wenn die Entscheidung auf ein spezielles Essen fällt. Dann kann es schon mal passieren, dass tatsächlich auch in einer Pizzeria, einem Chinesen oder einem anderen Lokal für den Betrieb bestellt wird. Bezahlt wird das dann meistens mit dem Trinkgeld, dass über das Jahr hinweg für die Tätigkeiten und Arbeiten der Insassen eingesammelt wird.
Ich habe tatsächlich auch mal erlebt, dass ein Betriebsbeamter von seinem eigenen Geld kleine Geschenke für die Insassen seines Betriebs gekauft hat. Nichts Besonderes, aber eine überaus nette Geste.
Wie kann man sich nun den heiligen Abend selbst vorstellen. Nun, gar nicht. Denn es ist ein Tag wie jeder Andere auch. Man steht um etwa 6.00 Uhr in der Früh auf. Morgentoilette so gut wie möglich. Im TV und Radio hört man schon den ganzen Tag Weihnachtsmusik und Ö3 spielt schon um 6.30 zum ungefähr 50sten Mal „Last Christmas“. Irgendwann werde ich eine Petition starten, um dieses Lied verbieten zu lassen. Ich mag/mochte George Michael, aber damit hat er der Weilt keinen Gefallen getan. Egal. Um 7.00 Uhr geht dann die Türe auf und ich kümmere mich um die ersten Tätigkeiten des Tages. Das sind zuallererst einmal der Müll. Will heißen, ich kümmere mich um die großen Mülltonnen auf der Abteilung und versuche zu organisieren, dass wir Volle zur Müllentleerung bringen können. Das ist allerdings ein schwieriges Unterfangen, da ich dafür einen Beamten mit brauche und an diesem Tag niemand von ihnen Lust hat auch nur einen Finger zu rühren. Also kümmere ich mich in weiterer Folge um die Reinigung der Abteilung.
Da es der heilige Abend ist, rückt an diesem Tag sonst niemand zur Arbeit aus (außer die Anstaltsküche). Das bedeutet, dass meine Abteilung voll mit Leuten ist und sich die Reinigung eher schwierig gestaltet. Den Gang aufwischen brauche ich an diesem Tag nicht. Es hätte keinen Sinn. Nach und nach werden die Leute zum Spazieren geholt. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal spazieren war. Ich habe einfach keine Zeit dafür, außerdem ist es deprimierend.
Um ca. 10.00 Uhr heißt es dann, Mittagessen holen. Um 10.00 Uhr deshalb, weil der heilige Abend ein „kurzer Tag“ ist. Das bedeutet, dass die Haftraumtüren nicht bis 14.30 Uhr geöffnet sind, sondern in der Regel schon um 11.00 Uhr geschlossen werden. Deshalb muss um 10.30 Uhr das Essen ausgegeben sein. Wer jetzt denkt, dass es zu Weihnachten etwas „Spezielles“ zu essen gibt, irrt. Das Standardmenü an diesem Tag (in so gut wie allen Anstalten) ist der obligatorische Fischziegel mit Kartoffelsalat. Ein Fischziegel ist ein Fischfilet in Form eines dünnen Ziegels. Diese werden in einem Konvektomat gegart. Meistens wird dadurch die Panier so hart und ungenießbar, dass es besser ist, an diesem Tag selbst für das Essen zu sorgen (wenn man es sich leisten kann bei „Kienast“ einzukaufen).
Diese Firma ist der Lieferant für alle Anstalten in ganz Österreich. Dort können Insassen einmal pro Woche einkaufen. Die Preise sind deutlich höher als bei einem „Billa“ oder „Spar“ und das Angebot ist äußerst überschaubar. Spezielle Weihnachtsartikel gibt es nicht. Nicht einmal typische Weihnachtskekse oder Ähnliches.
Ab und zu wird dem Kartoffelsalat noch etwas „Spezielles“ gegönnt und man spendiert ihm ein wenig Mayonnaise in der Anstaltsküche. Da es ein kurzer Tag ist, ist beim Mittagessen auch gleich das Abendessen dabei. Am heiligen Abend besteht dies zumeist auf einem Stück Käse und einer Tomate. Nachdem das Essen ausgegeben wurde und die Insassen am Essen sind, bringe ich den Wagen mit den Resten des Essens wieder zurück in die Anstaltsküche. Dort werde ich schon „sehnsüchtig“ erwartet, da die ja auch Schluss machen wollen, davor aber die schmutzigen Behälter noch reinigen müssen.
Ich kehre auf meine Abteilung zurück und kurz darauf werden die Haftraumtüren verschlossen. Die Insassen sind nun wieder alleine bis zum nächsten Tag. Beim Verschließen gibt es Beamte, die „schöne Weihnachten“ wünschen, andere verzichten darauf. Der weitere Tagesablauf ist vorgezeichnet. Ich versuche meistens den Trubel rund um Weihnachten einfach zu vergessen. Viele greifen dafür auf Psychopharmaka zurück oder beschaffen sich härtere Drogen. Einige schaffen es auch irgendwo selbst hergestellten Alkohol zu ergattern. Allerdings ist das heute nicht mehr so wie noch vor etwa fünf Jahren, wo man das literweise bekommen hat. Das Ansetzen und Brennen von Alkohol nimmt einfach zu viel Zeit in Anspruch und man riecht es gewaltig.
Ich versuche das alles zu vermeiden und sehe mir im TV die mittlerweile ungefähr 100ste Wiederholung von „Kevin allein zu Haus“ oder „Kevin allein in New York“ an. Mittlerweile kann ich beim Text mitsprechen. Eine Möglichkeit seine Angehörigen zu hören ist an diesem Tag nur sehr eingeschränkt möglich. Man müsste es irgendwann in der Zeit erledigen, wo die Hafträume noch offen sind. Sprich, ab 11.00 Uhr ist es nicht mehr möglich. In dieser Zeit habe ich allerdings zu arbeiten und deshalb beschränken sich meine Weihnachtswünsche auf ein paar Karten und Briefe. Natürlich gibt es Insassen, die Mobiltelefone haben und diese an diesen Tagen auch nutzen. Einige von ihnen verleihen sie auch an andere Insassen. Für horrende Summen. Ich habe schon mal miterlebt, wie ein Insasse für 10 Minuten Leihe insgesamt € 100 bezahlt hat. Ein Tarif bei dem man reich werden kann. Dazu ist zu sagen, dass die Preise für Mobiltelefone extrem hoch sind. Ein altes iPhone XS z.B. wird in etwa für € 800 gehandelt. Aktuelle Telefone sind fast gar nicht zu bekommen. Und falls doch, liegen die bei etwa € 1.500 bis € 2.000. Uninteressant.
Der Tag geht vorüber, so wie jeder andere auch. Man sieht sich im TV irgendwelche Sendungen an. Wer einen Computer oder eine Spielkonsole hat, beschäftigt sich damit. Und versucht die Zeit bis zum Abend „sinnvoll“ zu vertreiben um halbwegs müde zu werden und dann irgendwann vor Mitternacht einzuschlafen.
Denke ich oft an Weihnachten wie es früher vor der Haft war? Denken schon. Allerdings vermisse ich es nicht. Das liegt einfach daran, dass ich in den letzten 12 Jahren diesbezüglich vollkommen abgestumpft bin und die Weihnachtszeit für mich eher nur nervend ist. Der heilige Abend an sich ist ein Tag wie jeder andere auch. Ein Tag an dem ich arbeiten muss und versuche die Zeit, die ich mit mir allein verbringe, halbwegs sinnvoll zu nutzen.
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