Wir haben uns Protokolle von Verhandlungen, im Speziellen von Anhörungen zu bedingten Entlassungen und Aufhebungen von Maßnahmen, der letzten zwölf Monate durchgesehen und mit (uns namentlich bekannten) Beamten, Rechtsanwälten sowie auch Insassen darüber gesprochen. Dabei konnten wir eine äußerst erschreckende Entwicklung in der letzten Zeit feststellen. Nämlich, dass Entscheidungen offensichtlich nicht auf Fakten beruhen. Vielmehr gelangt man zu dem Eindruck, Entscheidungen werden aufgrund von persönlichen Sympathien oder Antipathien gefällt.
Ist das tatsächlich der Weg der Justiz? Wie sehen das Rechtsanwälte generell? Oder auch Richter? Fakt jedenfalls ist, dass in über 90% der Protokolle die Argumente des Betroffenen nicht einmal ignoriert wurden. Einfach so, als wäre der Betroffene gar nicht anwesend, wird über das Schicksal eines Menschen entschieden. Entscheidungen, die, so wird vermutet, bereits im Vorhinein feststehen. Anders lässt sich nicht erklären, dass diese Termine oft innerhalb von nur zwei oder drei Minuten durch sind und bei der Verkündung ein bereits fertiges Schriftstück aus dem Akt geholt wird. Also muss bereits zuvor der Ausgang schon festgestanden sein, oder sehen wir da etwas falsch?
Das sind Entscheidungen, die angeblich von Richtern getroffen werden. Richter, die sich im besten Fall auf die Stellungnahmen von Gutachtern und der Justizanstalt verlassen (müssen). Da stellt sich die Frage, wie ein Gutachter und die Anstalt zu deren Stellungnahmen kommen? Ein Gutachter sieht oder spricht die betroffene Person nur sehr kurz. In den besten Fällen vielleicht 30 Minuten lang. In einigen Fällen wird tatsächlich nur ein Aktengutachten erstellt. Will heißen, die betreffende Person wird gar nicht "begutachtet". Deshalb ist hier die Bezeichnung "Gutachter" auch völlig falsch und sollte eher "Abschreiber" heißen. Denn in vielen Fällen wird einfach das, was in Einweisungsgutachten (bei Maßnahmenvollzug) geschrieben wurde, 1:1 übernommen.
Die Anstalt wiederum beruft sich auf ein "Fachteam", dass aus "Fachleuten" besteht, die sich anmaßen über den jeweiligen Insassen ein Urteil abzugeben. Man sollte nun meinen, dass in diesem Fachteam auch die Personen vertreten sind, die tagtäglich mit dem Insassen zu tun haben. Aber weit gefehlt. Dem Fachteam gehören in der Regel keine Abteilungs- oder Betriebsbeamte an, die tatsächlich ein aussagekräftiges Urteil über den Insassen abgeben könnten. Auch wenn das Fachteam angeblich aus Experten zusammensetzt, zu einem Experten in Sachen Maßnahmenvollzug oder auch Strafvollzug macht alleine die Zugehörigkeit zu so einem Team noch niemand. Auch ist es anmaßend zu behaupten, jemand könne aufgrund von einem Gespräch, das wenige Minuten dauert, über die Zukunft eines Menschen entscheiden.
Für einen Richter oder einen anderen Beteiligten ist der Zeitraum bis zur nächsten möglichen Anhörung kurz. Denn ein Jahr, oder auch viele Jahre vergehen in Freiheit tatsächlich sehr schnell. So gut wie niemand der Richter kennt den Vollzug so wie er wirklich ist. Wenn einmal ein Richter in einer JA "zu Gast" war, dann sieht er in der Regel Besprechungsräume oder im besten Fall vorher extra hergerichtete Hafträume. Wir haben das bei vielen Insassen miterlebt. Da werden bei einem Besuch der Generaldirektion, der Ministerin oder anderen "wichtigen Personen" extra Hafträume, Gänge, Aufenthaltsräume, etc. fein säuberlich geputzt und geschrubbt und mit den besten und schönsten Geräten ausgestattet. Die Realität sieht allerdings anders aus.
Eine andere Vorgehensweise, die uns bei der Durchsicht aufgefallen ist, ist, dass offenbar der Vorsitz zumindest offiziell an blutjunge Richter abgegeben wird, bei dem Termin dann aber dennoch ein „alter Hase“ (verzeiht diesen Ausdruck) den Vorsitz führt. Soll hier einfach nur der Schein gewahrt werden, damit nicht der Richter des ursprünglichen Urteils auch ständig in den Protokollen der Anhörungen auftaucht? Damit könnte man ja theoretisch eine Berufung wegen Befangenheit erwirken.
Wir verurteilen Menschen oft zu langjährigen Haftstrafen. Wir verwenden bewusst den Terminus „Wir“, denn Fälle, die durch die Medien gehen, werden auch von der Öffentlichkeit verurteilt. Es ist uns egal, was mit den Menschen nach dem Urteil passiert. Hauptsache ist, dass das Urteil im Namen der Republik – also auch in unseren Namen – gesprochen wird. Uns ist jedoch niemand bekannt, der sich mit einer Vielzahl dieser Urteile tatsächlich identifizieren kann oder will. Strafe muss sein! Das ist richtig und gegenüber der Haft gibt es aktuell keine brauchbaren Alternativen. Zumindest nicht in Österreich, denn Norwegen, Schweden, etc. machen uns vor, wie man den Strafvollzug deutlich besser und humaner gestalten könnte. Möglicherweise hilft das kalte Klima in diesen Ländern beim Denken und begünstigt somit erheblich klareres und ein nachvollziehbares Vorgehen???
Warum das nicht in Österreich möglich ist? Ganz einfach, weil in Österreich nach wie vor die Meinung vorherrscht, dass der Strafvollzug einzig und allein die Sache der Justiz ist. Wir verurteilen zwar Menschen, sobald der Fall (meistens einseitig) in den Meiden publiziert wird, für das weitere Schicksal interessieren sich aber die Wenigsten. Dabei vergessen wir bei all dem Sinn für Rache und „Gerechtigkeit“ ein ganz wichtiges Faktum. Nämlich, wir verurteilen Menschen. Menschen, wie du und ich. Menschen, die einen Vater und eine Mutter haben oder hatten. Die vielleicht auch Familie haben. Und wir verurteilen IMMER das soziale Umfeld dieses Menschen mit ihm.
Der Aufschrei von denen, die Opfer schützen ist groß. Verständlich. Auch wir sind absolut der Meinung, dass die Rechte von Opfern geschützt gehören und man Straftäter nicht ungeschoren davonkommen lassen darf. Schon gar nicht im Fall von Gewalt. Dennoch darf man dabei eben nicht vergessen, dass auf beiden Seiten Menschen sind. Machen wir uns durch Vernachlässigung, die in so gut wie ALLEN Justizanstalten in VIELEN Fällen passiert, nicht auch selbst zu Tätern? Denn nehmen wir einem Menschen sein soziales Umfeld, berauben wir ihn der Familie, seiner persönlichen Entscheidungsmöglichkeiten, der Möglichkeit zur Fortbildung, etc. dann hat das nichts mit einer Resozialisierung zu tun. Und, um auf das eigentliche Thema zurückzukommen, in wie weit zeigt ein Entscheidungsträger Verantwortung wenn es darum geht Menschen ihrer Grundrechte zu berauben?
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