Soziale Isolation ach der Haft

ms • 7. November 2024

Soziale Isolation nach der Haft

Zu Beginn dieses Artikels möchten wir euch auf unsere vergangenen Artikel über soziale Isolation, und wie man dieser Spirale entkommen kann, verweisen. Das Thema ist gerade bei ehemaligen Strafgefangenen ein äußerst prekäres und vor allem allzeit Präsentes und, wie wir meinen, auch ein nicht unerheblicher Faktor daran, dass ehemalige Strafgefangene wieder straffällig werden.

Warum? Menschen, die in einer mehr oder weniger immerwährenden sozialen Isolation verharren müssen, sind nach einiger Zeit nicht mehr fähig aktiv an einer Gesellschaft teilzunehmen. Dies lässt sich nicht durch zwei oder drei Ausgänge ins Gegenteil verkehren. Es ist nicht möglich einen Menschen innerhalb kürzester Zeit, mit Hilfe von Ausgängen, die in der Regel wenige Stunden dauern, auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten.

 Aber von Anfang an. Dazu müssen wir uns die heute gängige Praxis innerhalb des Strafvollzugs genauer ansehen. Laut Strafvollzugsgesetz sollte der Strafvollzug ja der Resozialisierung dienen. Dies bedeutet im eigentlichem Sinne auch, dass der Insasse natürlich auf ein Leben in Freiheit vorberietet werden soll. Dabei soll ihm der Unrechtsgehalt seiner Straftat aufgezeigt werden und gleichzeitig aber Maßnahmen ergriffen werden, die ihn davon abhalten in Zukunft eine weitere Straftat zu begehen.

Nun, um es auf gut deutsch zu sagen. Das ist Blödsinn. Der gesetzliche Ansatz ist zwar in Ordnung, wird aber bei KEINEM durchgeführt. Warum nicht?

 

Nun, die aktuelle Situation stellt sich folgendermaßen dar. Ein verurteilter Strafgefangener wird von so gut wie allen Seiten, Tag für Tag, Minute für Minute über den Unrechtsgehalt seiner Tat aufgeklärt. Das bedeutet, man zeigt ihm ständig, dass er der Verbrecher ist, die „Anderen“ nicht. Gut, das stimmt natürlich auch, aber mit der Zeit macht das etwas mit einem Menschen. Selbst die Stärksten brechen irgendwann innerlich, auch wenn sie das niemals zugeben oder gar zeigen würden. Aber glaubt uns, wir haben Männer gesehen, trainiert, stark und „hart“, so dass „jeder vor ihnen erzittert“ (sehr übertrieben ausgedrückt). Genau diese Männer, sind zu Weihachten vor dem behelfsmäßig, schnell-schnell aufgebauten und fast schon wieder verstorbenen Weihnachtsbaum unter Tränen gestanden und haben davon erzählt, wie sehr sie es bereuen jetzt in diesem Augenblick nicht bei ihrer Familie zu sein.

 Natürlich hat das auch etwas. Es zeigt vor allem, dass dieser Insasse wahrscheinlich den Unrechtsgehalt seiner Straftat erfasst hat. Es zeigt aber auch sehr deutlich, dass unser Strafvollzug nicht der Resozialisierung dient, sondern einzig und alleine auf Rache aus ist. Will heißen, der Verbrecher gehört weggesperrt, am besten bei Wasser und Brot und das für die nächsten hundert Jahre.

Wir werden oft gefragt, ob wir denn nicht auch an die Opfer denken. Doch, das tun wir und wir sind absolute Anhänger eines intakten Opferschutzes. Doch dabei darf man nicht vergessen, dass es sich bei dem Straftäter eben auch um einen Menschen handelt!

 

Ein Mensch, der nun jahrelang jeden Tag eingetrichtert bekommt, dass er eben kein Mensch ist. oder zumindest nur ein Mensch zweiter oder gar dritter Klasse (wenn man Menschen überhaupt in Klassen einteilen kann/darf/soll), soll von "Jetzt" auf "Gleich" sich ändern. Gebe ich einem Menschen über Jahre hinweg das Gefühl, dass er nichts wert ist, dann glaubt er das mit der Zeit ziemlich sicher ach.

 

Warum gibt man Insassen dieses Gefühl? Ich möchte da Beispiele aus der Karlau, Stein, Hirtenberg, Schwarzau und Josefstadt ansprechen. Bedienstete, die uns namentlich bekannt sind, die wir aber natürlich nicht nennen (dürfen). Dazu muss man erforschen, warum Menschen die Justiz als Arbeitgeber wählen. Es gibt z.B. Richter, die tatsächlich aus höheren Beweggründen ihren Job ergriffen haben und auch ausführen. Richter, die tatsächlich daran glauben, dass durch den Strafvollzug Menschen wieder zurück in ein redliches Leben geführt werden können. Genauso ist dies auch bei Staatsanwälten, Rechtsanwälten und Justizwachebeamten. Manche tun es einfach aus Interesse. Interesse daran, im Bereich der Justiz zu arbeiten – aus welchen Gründen auch immer. Und dann gibt es eine Gruppe, die sich aus mehreren Untergruppen zusammensetzt. Diejenigen, die den Job machen, weil sie sonst nirgendwo unterkommen. Diejenigen, die vorgeben „sozial“ sich engagieren zu wollen und im Endeffekt das nur als Vorwand nehmen um ihr eigenes Versagen im familiären Bereich zu kompensieren.

Ein typischer Vergleich hier (und bitter verzeiht uns diesen chauvinistischen Vergleich), eine Beamtin, die „zu Hause“ unter der Feder ihres Partners leidet und dann bei der Justiz zeigt, „wer die Hosen anhat“. Ihr glaub gar nicht, wie oft wir das schon erlebt haben.

Hier nicht eingegangen sind wir auf all diejenigen Bediensteten, die nicht im eigentlichen Strafvollzug arbeiten. Wie z.B. Mitarbeiter in Vereinen, die sich sozial engagieren, wie etwa „Neustart“, der „Gefangenengewerkschaft“ oder auch „Richtungswechsel“.

 

Wie ist das gemeint, dass man ihnen dieses Gefühl gibt? Wie schon zuvor erwähnt, wird Strafgefangenen tagtäglich eingetrichtert, dass sie keine Menschen sind, oder Menschen unterer Klassen. Im Grunde genommen, ein typisches Verhalten von vor 200 Jahren wo man Arbeitsklärte (Sklaven) aus den afrikanischen oder asiatischen Ländern so behandelt hat. Natürlich sind Strafgefangene keine Sklaven im eigentlichen Sinne. Denn sie bekommen für ihre Arbeit ja Lohn. Das ist zumindest die vorherrschende Meinung. Ob man aber bei einem Lohn von ca. € 100 pro Monat wirklich von „Lohn“ sprechen kann, ist eine andere Frage… und das bei teilweise äußerst hoch qualifizierter Arbeit (etwa Tischler, Installateure, Schlosser, Maler, etc.). Bitte glaubt NICHT Medienberichten wonach ein Insasse mehr als ein Pensionist verdient. Das ist eine typische Meldung einer Boulevardzeitung, die unwahr ist oder nur die halbe Wahrheit zeigt. Denn tatsächlich erhalten Insassen virtuell eine Summe, die € 1000 übersteigt. Davon werden jedoch die Kosten für Unterbringung, Verpflegung und Bewachung abgezogen, so dass im Endeffekt meistens knapp € 100 übrigbleiben. Damit wären wir wieder beim Wert. Für einen Monat Arbeit (teilweise harte, körperliche Arbeit), erhält der Insasse einen lächerlichen Betrag und assoziiert damit unwillkürlich, dass seine Arbeit - und somit auch er - weniger Wert ist.

 Man nimmt Insassen jegliche Form der Selbstbestimmung. Jeder Insasse ist lt. Gesetz dazu verpflichtet Arbeit zu verrichten, hat jedoch kein Recht auf Arbeit. Sehr ihr den Widerspruch in sich? Jegliche Bewegungsfreiheit ist, auch innerhalb der Anstalt, massiv eingeschränkt. In den meisten Anstalten hat man als Insasse zumindest immer einen Beamten an seiner Seite, der einen von A nach B über X und Y bringt. Egal wohin er geht. Vom Haftraum zum Besuch, vom Haftraum zum (zurzeit in den meisten Anstalten jetzt zumeist geschlossenen) Betrieben, etc. Der Beamte überwacht die Essensausgabe, der Beamte nimmt die Post entgegen (und an einem schlechten Tag kanns schon mal passieren, dass er sie nicht nimmt), der Beamte entscheidet (oft) ob man duschen darf oder nicht, und der Beamte entscheidet welche Art von Medikamenten ein Insasse erhält. Ja, auch das entscheidet er. Warum? Ganz einfach, die eigentliche Medikation wird zwar vom Arzt vorgegeben, die Logistik dahinter ist aber meistens nicht mehr in der Verantwortung des Arztes. Es gibt Anstalten in denen sogar Insassen Medikamente für andere Insassen verpacken, und das offiziell. Also der beamte übergibt die Medikamente und überwacht die Einnahme.

 

Die Justiz ist gesetzlich dazu verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass ein Insasse am leben bleibt und dafür erhält er im Bedarfsfall Medikamente. Den Bedarf bestimmt der Anstaltsarzt bzw. Psychiater. Normalerweise sollte man davon ausgehen, dass die sich an Vorgaben halten, die bereits von der Freiheit des Insassen bekannt sind. Bei harmlosen Medikamenten (Blutdruck, Herz, Diabetes, etc.) ist das auch meistens so, obwohl wir auch hier Gegenteiliges kennen. Was, wenn aber jetzt der Psychiater bestimmt, dass ein Insasse Psychopharmaka notwendig hat und diese verschreibt. Im Grunde genommen (und das haben wir aktuell in mehreren Fällen) werden Insassen mit Psychopharmaka einfach ruhiggestellt. Hier kennen wir Beispiele von Sportlern, die bei der Inhaftierung vollkommen fit waren, die nun nach wenigen Jahren der „Behandlung“ ein körperliches Wrack sind. Oft nicht einmal mehr fähig auf ihren eigenen Beinen zu stehen oder einen halbwegs vernünftigen Satz zu sprechen. Menschen werden zu – nennen wir es beim Namen – Junkies gemacht.

 

Was hat das nun mit sozialer Isolation zu tun? Ganz einfach, Nimmt man einem Mensch alles. Also nicht nur die Freiheit, sondern auch sein soziales Umfeld (und das verabschiedet sich DEFINITIV nach einigen Jahren), die Selbstbestimmung, sämtliche materiellen Güter, die ein Leben heute ausmachen wie z.B. Mobiltelefon, Computer, TV, Radio, Auto, etc., die man sich in der Anstalt, wenn man sie denn haben möchte, wieder mühsam mit seinem verdienten Geld (€ 100 pro Monat) ankaufen muss, dann nimmt man einem Menschen im Endeffekt auch sein Leben. Nimmt man ihm dann in letzter Instanz auch noch seine Würde wie schon zuvor beschrieben, dann haben wir im Grunde genommen einen über viele Jahre hinweg zur Unselbständigkeit und von allen Anderen isoliert lebenden Menschen „gezüchtet“. Jedenfalls aber einen Menschen, der es gewohnt ist unterdrückt zu werden. Der es gewohnt ist, seine eigenen Gefühle zu unterdrücken, denn in einer derart „harten“ Umgebung wie einem Gefängnis sind Gefühle fehl am Platz. Einen Menschen, der meistens von sich selbst denkt, er sei nichts wert und der in sozialer Hinsicht es nunmehr nach jahrelangem „Training“ es gewohnt ist, sich mit Gleichgesinnten und „Leidensgenossen“ sich abzugeben und isoliert zu leben. Denn natürlich gibt es auch Gemeinschaftshafträume, aber die gängige Praxis in den Anstalten geht nicht wirklich auf Bedürfnisse der Insassen ein. Da kommt es schon vor, dass oftmals verfeindete Gesellschaftsgruppen zusammengelegt werden. Wir haben Fälle in denen Israelis mit Palästinensern zusammen sind oder Ähnliches.

 

Jetzt nimmt man all das – und wir haben hier aus Platzmangel nur sehr wenige der zu kritisierenden Punkte aufgezählt – und hat nach oft jahrelanger Haft einen Menschen erschaffen, der sozial isoliert ist. Nun will man das, was man jahrelang „aufgebaut“ hat, mit zwei oder drei Ausgängen in der Dauer von ein paar Stunden, zumeist auch noch Begleitet von einem Bediensteten der Anstalt, wieder in den Griff bekommen? Hallo? Wer in der Justiz denkt ehrlich, dass das funktionieren kann? Wahrscheinlich nur Bedienstete, die mit Scheuklappen durch die Gegend rennen oder die sich nicht wirklich für ihren Job interessieren.

 Deshalb weisen wir auch schon seit langer Zeit darauf hin, dass über 90% der Richter keine Ahnung davon haben, wie es hinter Gitter tatsächlich zugeht. Dass sie mit ihren Jahren, die sie austeilen nicht nur einen Menschen bestrafen, sondern seine gesamte Familie, denen auch der Vater oder die Mutter genommen wird. Ein Richter sollte zumindest einmal pro Jahr eine Woche als herkömmlicher Bediensteter in einer Anstalt verbringen.

 Hat der Insasse nun seine Ausgänge absolviert, wird er am Entlassungstag vor die Türe gesetzt. Uns sind auch viele Fälle bekannt in denen ein Insasse vor seiner Entlassung keine einzige Minute in Freiheit verbracht hat. Aber was macht der ehemalige Insasse nun, der auf der Straße steht. Natürlich wird er genau das weiter machen, was er auch schon von der Anstalt her kennt. Sich sozial isolieren und zurückziehen, auf Selbstbestimmung verzichten und sich abschotten. Wenn ein ehemaliger Insasse hier keine Familie mehr hat, dann steht er allein da. Natürlich gibt es auch andere Menschen, die allein dastehen und das Meistern. Denen wurde aber nicht über Jahre hinweg eingetrichtert, dass sie nichts wert sind.

 Ein entlassener Insasse hat in den meisten Fällen, und das ist mittlerweile auch bewiesen, so gut wie kein Selbstwertgefühl mehr. Einer der Hauptgründe für soziale Isolation. Die Spirale dreht sich weiter und durch die zunehmende Isolation zieht man sich mehr und mehr zurück. Denn in Haft bekommt man die eigentliche Isolation nicht wirklich so stark mit. In Freiheit jedoch, wo das soziale Leben allgegenwertig ist, bekommt das ein ehemaliger Insasse in jeder einzelnen, ewig lang dauernden, Minute vor die Nase gesetzt. Wo die Spirale endet, kann sich jeder selbst ausmalen. Bei Einigen ist es der Rückfall in die Kriminalität, bei Anderen sogar der Suizid.

 

Wie kann man dem entgegenwirken? So gut wir gar nicht. Was Menschen in jahrelanger „Arbeit“ aufgebaut haben, lässt sich nicht so einfach wieder ins Lot bringen. Ein wichtiger Punkt wäre es schon während der Haft dafür sorge zu tragen, dass ein Insasse nicht isoliert wird. Dafür zu sorgen, bei Insassen wo bekannt ist, dass sie keine Familie mehr haben, dass sie ein soziales Umfeld wieder aufbauen können. Besuche sollten deutlich unkomplizierter und vor allem sinnvoller werden. Es sollte vor allem die Möglichkeit geben sich mit Besuchern oder anderen Personen für eine bestimmte Zeit zurückzuziehen. Nicht (nur) wegen Sex. Hauptsächlich wegen einer herkömmlichen und vollkommen normalen zwischenmenschlichen Beziehung. Wir haben insgesamt 250 Insassen anonym befragt, ob sie lieber schnellen Sex hätten oder der Austausch von Gefühlen, Zärtlichkeiten, etc. im Vordergrund stünde. Nur etwas mehr als 20% haben die erste Möglichkeit gewählt.

 Hier sollte auch für die Zeit nach der Haft Vorsorge getroffen werden. Denn Vereine wie z.B. „Neustart“ können den Bedarf nur sehr gering abdecken. Das liegt nicht an mangelndem Engagement. Im Gegenteil. Sämtliche Mitarbeiter von „Neustart“, die wir kennen, sind äußerst engagiert. Aber wenn ein einziger Betreuer über 50 ehemalige Insassen betreuen muss, hat derjenige nicht wirklich viel Zeit für eine Person. Außerdem, wie weit ein Betreuer von „Neustart“ (oder einem anderen ähnlichen Verein) die Bedürfnisse eines Menschen nach einer zwischenmenschlichen Beziehung stillen bzw. befriedigen kann, sei dahingestellt. Viel ist es jedoch nicht.

 

Fakt ist, soziale Isolation beginnt während der Haft und setzt sich nach der Haft nahtlos fort. Ein Umstand, den die wenigsten ehemaligen Insassen zugeben möchten oder werden. Anonym befragt jedoch, stimmen hier über 90% zu. Und dieser Umstand führt in weiterer Folge zu Situationen, in denen der ehemalige Insasse keinen anderen Ausweg mehr sieht als den Rückfall oder anderer, für ihn in dieser Situation offensichtlich überlegten, Taten.

 

Um mit den Worten von „Prisoners Unite“ zu schließen: „Ein Mensch ist mehr als ein Verbrechen“.


(ms)


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