Radikalisierung hinter Gittern

ms • Juli 27, 2024

Warum die Gewalt in Justizanstalten immer mehr zunimmt


Wer noch nie hinter Gitter war, weiß definitiv nicht, wie es dort zugeht. Die Erzählungen und Geschichten, Filme und Aufnahmen und die paar Berichte in den einschlägigen TV-Medien (ATV, etc.) tragen nicht gerade dazu bei, dass die Wahrheit über den Strafvollzug offenbart wird.


Warum? Nun, in einem TV-Bericht wird größtenteils darauf geachtet, dass nur die Insassen zu Wort kommen, die auch „das Richtige“ sagen. Im Zweifelsfall werden sie vor deren Aufnahmen noch schnell „auf Kurs gebracht“, damit sie auch ja nichts Falsches sagen. Im Zweifelsfall verbietet die Justiz die Ausstrahlung und die Aufnahme wird mit einem Ersatz neu gedreht. Fakt ist, ein TV-Bericht kann nie die Wahrheit über den Strafvollzug aufdecken. ­So auch bei der – eigentlich recht gut geplanten und angesetzten – Sendung „Hinter Gittern in Österreich“ von ATV. Einer der Hauptredner in mehreren Folgen wurde zuvor von der zuständigen Anstaltsleitung darauf aufmerksam gemacht, dass es bestimmte Dinge gibt, die er nicht sagen darf. Außerdem, was für ihn selbst nicht schön wäre, wenn er darauf eingeht. Zusätzlich wurden ihm Repressalien angedroht, die bis hin zu einer Verschickung in eine weit entfernte Anstalt gingen wo eine Möglichkeit des Besuchs deutlich eingeschränkt wäre. Dies soll verdeutlichen, dass TV-Berichte nicht einmal einen kleinen Funkten dessen zeigen können, was hinter Gittern tatsächlich passiert. Das liegt nicht an falschen oder geschönten Berichten von Seiten der Sender. Es liegt einzig an der Tatsache, dass Insassen sehr genau ausgewählt werden.


Ein Insasse, der heute in einem österreichischen Gefängnis in Strafhaft sitzt, hat im Grunde genommen (und lt. Hausordnung) einen streng geregelten Tagesablauf. Das beginnt mit dem Wecken um 6.00 Uhr, über Arbeit bis ca. 12.00 Uhr, dann Mittagessen und meistens kurze Zeit später ein Spaziergang im Gefängnishof. Bis um 14.30 Uhr der „Einschluss“ die Türen bis zum nächsten Tag verschließt. Nimmt der Insasse an Freizeitgruppen (Musik, Basteln, Sport, etc.) teil, so fällt dies in die Zeit nach dem Einschluss und geht meistens bis ca. 17.00 Uhr.


Ich habe in dieser Liste bewusst auf das „Frühstück“ verzichtet, da es in den meisten österreichischen Justizanstalten kein Frühstück gibt! Das oft und viel zitierte Frühstück in Berichten besteht aus Resten des Abendessens vom Vortag, die sich der Insasse bis zum nächsten Tag in der Früh aufheben muss. Eine gesonderte Frühstücksausgabe gibt es normalerweise nicht, oder beschränkt sich auf die Ausgabe von Tee.



Da Einzelhafträume in Österreich nach wie vor äußerst rar sind, werden Insassen in Gemeinschaftshafträumen untergebracht. Hier krachen – im wahrsten Sinn des Wortes – zum ersten Mal dann Kulturen aufeinander. Auf kulturelle Unterschiede wird von Seiten der Justiz keine Rücksicht genommen. So kann es schon mal sein, dass ein Serbe und ein Bosnier zusammen in einem Haftraum untergebracht werden. Uns ist tatsächlich ein Fall bekannt, wo gerade Insassen aus diesen beiden Gruppen zusammen in einem Haftraum gelegt wurden, die sich im damaligen Krieg als Feinde gegenübergestanden sind! Auch richtig von Angesicht zu Angesicht gegeneinander gekämpft haben! Da fragt man sich dann schon, welches kranke Hirn für diese Zusammenlegung verantwortlich ist. Aber das ist nur ein Beispiel von Vielen. Uns sind auch Fälle von jüdischen Insassen bekannt, die gemeinsam mit Sympathisanten der Hamas Bewegung zusammengelegt wurden. Ich möchte allerdings betonen, dass bei jüdischen Insassen meistens darauf geachtet wird, dass diese unter sich bleiben!


Aber das zeigt nur die Spitze des Eisbergs. Denn das wahre Problem liegt viel tiefgründiger. Insassen, die keiner speziellen ethnischen, politischen oder religiösen Gruppierung angehören, aber psychisch labil sind. Das sind vor allem junge Insassen mit Haftstrafen über drei Jahren, aus Bildungsschichten die von einer Universität weit entfernt sind und möglicherweise auch noch eine Suchtproblematik haben. Dazu kommt bei Vielen noch die Tatsache, dass auch die Kindheit aufgrund eines zerrütteten Elternhauses nicht optimal war. Genau das sind die perfekten Opfer um sie für die einzelnen Gruppierungen zu rekrutieren.


Der erste Überzeugungsprozess ist für die „Rekrutierer“ ein Leichtes. Man gibt sich als guter Freund, der sich um einen kümmert und vielleicht auch noch mit notwendigen Substanzen versorgt. Das müssen nicht immer Drogen sein. Zigaretten, Tabak, Kaffee, sind ebenfalls immer wieder gern gesehen und sowieso die einzigen „wahren“ Zahlungsmittel hinter Gittern. Das geht eine Zeit lang so bis dann irgendwann mal die Frage nach einem kleinen Gefallen auftaucht. Aus einem Kleinen, wird ein Mittlerer bis hin zu einem Großen und im Endeffekt merkt der betroffene Insasse nicht einmal, dass er mittlerweile mitten in einer derartigen Gruppierung gefangen ist.

Das Herauskommen aus einer Solchen ist deutlich schwieriger als der Weg hinein. Das sollte jedem klar sein und gilt nicht nur für Gefängnisse. Doch hinter Gittern ist es noch deutlich schwieriger. Stellen Sie sich vor, sie können nicht einfach umziehen um ihren ehemaligen „Kollegen“ zu entgehen. Auch können sie ihnen nicht auf der Straße einfach aus dem Weg gehen. Sie laufen ihnen immer wieder über den Weg. Und wo treten all diese Spannungen in komprimierter Form auf? Im Spazierhof. Dort gibt es für etwa zwei Stunden am Tag keine Beamten, die ständig hinter einem her sind. Gewaltausbrüche sind an der Tagesordnung. Diese finden jedoch so gekonnt im Geheimen statt, dass von den Beamten, die den Hofgang beobachten, meistens keiner etwas merkt. Beim Verlassen des Hofes hat dann ein Insasse halt ein paar Blessuren mehr.


Nehmen Sie einem Menschen jegliches Recht auf Selbstbestimmung. Nehmen Sie ihm sämtliche Freiheiten. Trennen Sie ihn von seiner Familie und seinem sozialen Umfeld. Geben Sie ihm das Gefühl, dass er nur ein Mensch zweiter, dritter oder letzter Klasse ist. Lassen Sie ihn tagtäglich spüren, dass er nichts Wert ist und nehmen ihm noch dazu all seinen privaten Besitz. Dazu kommt noch, dass aktuell so gut wie alle Arbeitsbetriebe "auf Sparflamme" fahren - also nur sehr wenig gearbeitet wird. Insassen verbringen die meiste Zeit in deren Hafträumen und haben dort erst recht die Zeit dazu um über derartige Dinge nachzudenken.


Damit haben sie die optimalen Voraussetzungen für einen radikalisierten und zu allem bereiten Menschen getroffen. Fragen Sie sich selbst, möchten Sie nach seiner Entlassung so einem Menschen über den Weg laufen oder ist es vielleicht doch besser den aktuellen „Rachestrafvollzug“ hinter sich zu lassen und Menschen hinter Gittern als das zu behandeln was sie sind. Nämlich in erster Linie ein Mensch!

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