Barrierefreiheit hinter Gittern

en • Juli 28, 2024

Wie Strafgefangene mit Beeinträchtigung den Tag meistern müssen


Vorweg: Dieser Artikel bezieht sich hauptsächlich auf die Justizanstalten Graz – Karlau, Jakomini, Hirtenberg, Josefstadt und Schwarzau. Der aktuelle Status in den übrigen Justizanstalten ist uns nicht bekannt. Wir werden aber dies nachreichen, sobald Daten aus z.B. Garsten, Asten, Sonnberg, etc. eintreffen.


Ich habe bereits in einem Artikel dargelegt, dass es für Insassen mit einer Erkrankung sehr schwer ist hinter Gittern zurechtzukommen. Vor allem die mangelnde Versorgung mit adäquaten Pharmazieprodukten, das oftmalige Ausweichen auf Alternativprodukte und das Fehlen des medizinischen Verständnisses von Justizwachebeamten machen eine Behandlung, die über die einer Palliativen hinausgeht, fast unmöglich. Schuld sind nicht die Mediziner, sondern Beamte, die sich als Hobbyärzte sehen.


Besonders schwer wird es nun für Insassen, die eine körperliche Beeinträchtigung haben und deshalb auf Hilfsmittel angewiesen sind. Die herkömmlichen „kleinen“ Hilfsmittel wie z.B. Krücken oder Gehstöcke sind noch recht einfach zu organisieren. Bei Rollstühlen wird es dann schon etwas schwieriger, weil nur in begrenzter Stückzahl verfügbar. Aber auch die werden bei Bedarf (manchmal begleitet von einem zähneknirschenden Wirtschaftsoffizier) genehmigt und ausgefolgt. Ganz schlimm wird es, wenn es sich um technische Hilfsmittel handelt, die nicht unbedingt alltäglich sind. Hier denke ich z.B. an Hilfsmittel wie elektronische Lupen, elektronische Lesehilfen oder sonstige Geräte, die man nicht beim nächsten „MediaMarkt“ um die Ecke kaufen kann. Eine Genehmigung ist hier oft erst nach langem Hin und Her möglich und der Ankauf der Geräte gestaltet sich äußerst kostenintensiv für den Insassen.

Hat der Insasse nun seine entsprechenden Hilfsmittel und Geräte erhalten, beginnt in den meisten Fällen aber erst der wahre Horror. Zunächst muss er sich gegenüber seinen Mitgefangenen erklären. Die meisten von ihnen sind ihm die Geräte schlicht und einfach neidig, auch wenn sie selbst damit überhaupt nichts anfangen können. Uns sind Beispiele bekannt wo einem fast blinden Insassen seine Lupe von eifersüchtigen Mitgefangenen gestohlen wurde, auch wenn sie für die vollkommen nutzlos war. Wird das gestohlene Gerät nicht gleich gefunden, muss sich der Insasse meistens um sehr teures Geld (elektr. Lupe: € 799) neu kaufen nur um auch weiterhin seinen Alltag meistern zu können.


Hat der Insasse auch diese Hürde gemeistert, geht es aber dann erst so richtig los. Denn dann geht dasselbe Spielchen von vorne los – nur diesmal mit neidischen Beamten. Beamte sind auch „nur“ Menschen und natürlich gibt’s auch unter denen Eifersucht, Neid und teilweise sogar Hass gegenüber Insassen. Sicher, gerade diese Beamten haben dann eigentlich den falschen Job, aber wen kümmert das schon, wenn sie einmal in ihren Positionen angekommen sind? Diese Hürde ist nicht so leicht zu meistern, denn die Anfeindungen geschehen fast täglich und von allen Seiten. Auch hier sind uns etliche Beispiele bekannt, wo Insassen sich oftmals gegen Repressalien von Beamten zur Wehr setzen mussten.


Hindernisse, mit denen auch Menschen mit Beeinträchtigung in Freiheit oft zu kämpfen haben, treten hinter Gittern oftmals komprimiert auf wenige Quadratmeter auf. So geschehen bei dem uns bekannten Fall des Alexander Z. Ein Insasse, dem während der Haft aufgrund seines Diabetes ein Bein abgenommen werden musste. Die bestellte und auf ihn zugeschnittene Prothese war lange Zeit nicht tragbar, da sie einmal zu klein, dann zu eng, dann zu weit, etc. war. Ein Umstand, der auch in Haft komprimiert auftritt, da es so gut wie unmöglich ist, derartige Hilfsgeräte vorab zu testen.


Alexander Z. war somit für längere Zeit auf einen Rollstuhl und Krücken angewiesen. Bei den baulichen Begebenheiten in einem Gefängnis ist das eine enorme Herausforderung. Alltägliche Dinge werden bald zu unüberwindbaren Hindernissen. Selbst in den jetzt teilweise umgebauten Hafträumen der Justizanstalt Graz – Karlau ist einfach zu wenig Platz um als Insasse mit Krücken oder gar im Rollstuhl sich zurechtzufinden.


Zwischen Bett und Toilette sind es nur etwa drei Schritte in Richtung der Haftraumtüre. Möglichkeiten sich während man sich bewegt, irgendwo festzuhalten, gibt es nicht. Außer man will sich an den spärlichen Kleiderhaken festhalten und riskieren, dass diese sehr schnell abreißen. Der Gang zur Toilette, eine alltägliche Sache für die Meisten von uns. Ist man bei der eigentlichen Toilette angekommen, stellt man sich der nächsten Herausforderung. Stehen oder sitzen? Steht man, so gibt es wieder das Problem mit dem Festhalten. Zum Umdrehen und Hinsetzen ist jedoch zu wenig Platz, da man mit den Krücken überall anstößt. Das betrifft Einzelhafträume in denen die Toilette nicht vom übrigen Raum abgetrennt ist. In Gemeinschaftshafträumen wird es noch schwieriger. Denn dort muss der Insasse erst einmal in die Toilette hineinkommen. Das gestaltet sich äußerst schwierig, da zwischen Toilette, Mauer und Türe jeweils nur wenige Zentimeter Platz sind. Nicht einmal genug um dort eine Gehhilfe zu platzieren.


Dies sind die Probleme bei einer Sache, die man mehrmals am Tag machen muss. Ist man jedoch auf einen Rollstuhl angewiesen, so sieht man sich meistens unüberwindbaren Hindernissen gegenüber. Es gibt zwar Anstalten, die offiziell auf Benutzer von Rollstühlen vorbereitet sind (Josefstadt, Karlau und Stein), aber in der Praxis sieht das dann meistens anders aus. Denn auch dort sind die Nassbereiche in den Hafträumen äußerst klein gestaltet. Eine Ausnahme stellt hier der Haftraum 207 in der Justizanstalt Karlau dar. Dort sind die Bereiche tatsächlich äußerst üppig angeordnet und die Toilette bzw. die Dusche auch mit einem Rollstuhl erreichbar. Ein Haftraum in einer Anstalt von insgesamt 29 Anstalten in ganz Österreich.


Wie sieht es mit Insassen aus, die unter einer sonstigen Beeinträchtigung leiden. Insassen, die entweder blind oder fast blind sind, Insassen, die nichts mehr oder nur sehr wenig hören und Insassen, die nicht sprechen können?

Da wurde bis heute noch nicht wirklich viel getan. Eine einzige Ausnahme ist die Markierung der ersten und letzten Stufe an den Treppen in der Justizanstalt Graz – Karlau. Dies passierte allerdings erst nachdem ein dementsprechender Insasse einen schweren Unfall hatte. Die Bitten des Insassen vor seinem Unfall wurden allesamt ignoriert und auch er musste sich Anfeindungen von Seiten der Bediensteten und Insassen stellen. Visuelle Hilfsmittel innerhalb der Anstalt gibt es nicht. Weder in den Hafträumen noch in den Arbeitsbetrieben. Da wurden ebenfalls alltägliche Dinge wie das Greifen einer Kaffeetasse, das herkömmliche Essen von Tellern mit Besteck oder auch die Körperhygiene zu einem Abenteuer. Erschwert wurde das noch durch den Umstand, dass ein Insasse mit Beeinträchtigung auch keine Hilfe erwarten darf. Allerdings muss man betonen, dass es immer einige Ausnahmen gibt. Uns sind Fälle von Beamten und Beamtinnen bekannt, die ohne auf mögliche Diskrepanzen und Dissonanzen mit ihren Kollegen, Insassen geholfen haben.


Dennoch bleibt es dabei, dass man ohne technische Hilfsmittel aufgeschmissen ist. Wenn man nicht lesen kann, wird der Briefkontakt äußerst schwierig. Das betrifft nicht nur den Kontakt zu Angehörigen und dem sozialen Umfeld. Es betrifft vor allem Behördenbriefe, Ankündigungen und Informationsblätter der Anstalt, etc. Beamte sind zwar vom Gesetz her verpflichtet, Insassen, die nicht fähig sind zu lesen und zu schreiben, in ihren Bestrebungen zu helfen. Allerdings sieht die Praxis ganz anders aus. Wo es tatsächlich noch Beamte gibt, die sich bereiterklären und einem Insassen einen Brief vorlesen, sind diejenigen, die auch für ihn schreiben, tatsächlich mehr als rar gesät. Außerdem, wer möchte sich schon von einer wildfremden Person private Dinge vorlesen lassen? Das stellen allerdings nur zwei winzige Herausforderungen für einen sehbehinderten Insassen dar. Die schon zuvor erwähnte Körperhygiene ist ein großes Thema. Rasieren ohne visuelle Bestätigung ist schwer. Das Duschen und Waschen gestalteten sich noch recht einfach. Nägel schneiden, Haare schneiden, etc. allerdings wird schwierig.


Auch hier wurde, nach dem schon zuvor erwähnten schweren Unfall, in der Justizanstalt Karlau reagiert und die Möglichkeit einer Fußpflege für bedürftige Insassen eingeführt. Diese kommt einmal im Monat und behandelt knapp 15 Insassen, die alleine nicht dazu in der Lage wären. Hier stellt sich allerdings eine ganz entscheidende Frage. Warum muss immer vorher etwas passieren bevor reagiert wird? Warum muss die Justiz immer reagieren anstatt zu agieren? Der Unfall wäre vermeidbar gewesen und damit auch ein langer und schmerzhafter Heilungsprozess.


Insassen, die entweder schlecht hören oder nicht sprechen können, geht es genauso. Hier allerdings sind die Probleme anderer Natur. Wo für einen sehbehinderten Insassen noch die Körperhygiene zum Problem wird, ist bei einem hörbehinderten Insassen es das herkömmliche Gespräch mit Bediensteten und anderen Insassen. Auch hier sind uns einige Beispiele bekannt von Insassen, die sich mit Anfeindungen von Seiten der Justiz auseinandersetzen mussten. Insassen, die auf lächerlichste Art und Weise von Bediensteten geprüft wurden, ob sie tatsächlich nicht hören oder sprechen können. Eine Diskriminierung und eine Beleidigung des Selbstwertgefühls. Eine derartige Vorgehensweise des „Prüfens“ fand übrigens auch bei sehbehinderten Menschen statt. So kam es schon vor, dass bewusst Hindernisse in den Weg gestellt wurden. Gegen jegliche Ethik verstößt aber die Tatsache, dass von Seiten der Justiz Mitgefangene, Beamte, die ständig mit dem Insassen zu tun hatten und auch Angehörige zu der Sehbeeinträchtigung regelrecht verhört wurden. In diesem Verhör wurden auch Mitgefangenen Prämien angeboten, wenn sie sich auf die Seite der Justiz schlagen würden und gegen den Insassen aussagen.


Als Fazit kann man nur immer wieder betonen. Hinter Gittern ist es schlimm. Ganz egal ob ich in Monaco ein 5 Sterne Menü genießen darf, oder irgendwo im Irak in einem Erdloch festgehalten werden. Die Freiheit ist ein Grundrecht und ein Bedürfnis eines jeden Menschen. Wenn m an aber zusätzlich noch krank ist oder an einer Beeinträchtigung leidet, so wird aus einer Haftstrafe ganz schnell ein persönlicher Albtraum. Die Schilderung der Alltagssituationen stellt natürlich nur die Spitze des Eisbergs dar.


Noch etwas in eigener Sache. Ich gendere in meinen Artikeln und Beiträgen bewusst nicht! Nicht weil ich das andere Geschlecht nicht schätze. Im Gegenteil, jedem sollte bewusst sein, dass nur Frauen Leben schenken können und das die Geschichte gezeigt hat, dass Frauen wie z.B. Marie Curie, Rosa Luxemburg oder auch Hildegard von Bingen ihrer Zeit um teilweise Jahrzehnte voraus waren. Der aktuelle Hype ums Gendern allerdings ist Blödsinn. Wir sollten die Ressourcen dafür besser für den Kampf gegen Obdachlosigkeit und Armut verwenden. (meine ganz persönliche Meinung).




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