Mythen über den Strafvollzug - Teil 2

ms • Aug. 08, 2024

Die größten Mythen rund um den Strafvollzug  - Teil 2

Im zweiten und (vorerst) letzten Teil möchten wir auf vier ebenfalls sehr wichtige Themen eingehen, die zu den größten Mythen über den österreichischen Strafvollzug gehören. Damit wollen wir erneut zeigen, dass bei unserer Justiz einiges falsch läuft und geändert werden MUSS.

 

„Vor dem Gesetz ist jeder gleich und jeder bekommt einen fairen Prozess“

Diese Aussage ist grundsätzlich richtig. Streng nach dem Gesetz genommen, ist tatsächlich jeder Menschvor dem Gesetz gleich. Ganz egal welcher Herkunft, Religion, Hautfarbe und natürlich egal welchen Hintergrund. Gerade aber eben dieser letzte Punkt ist speziell in Österreich ein Thema für sich. Es gibt genügend, um nicht zu sagen unzählige, Beispiele in den letzten Jahren und Jahrzehnten von Personen des öffentlichen Lebens bzw. der sogenannten „High Society“, die vor dem Gesetz – sagen wir – etwas Gleicher waren als herkömmliche Bürger. Eine der wenigen Ausnahmen in dieser Liste ist wahrscheinlich Udo Proksch. Hier konnte die Justiz aber auch nicht mehr wirklich viel anders reagieren nachdem seine Schuld unumstößlich festgestellt war.

Nehmen wir als Beispiel einen der bekanntesten Fälle der letzten Jahre. K.H. Grasser. Ex-Finanzminister, Lebemann (darf man das so schreiben?) und mit einer sehr attraktiven Frau verheiratet, die offenbar in allen Belangen hinter ihm steht. Herr Grasser hat während des gesamten Ermittlungsverfahrens gegen ihn, der Zeit bis zur Anklageschrift und auch während des Prozesses keinen einzigen Tag in Untersuchungshaft verbracht. Nun gibt es in Österreich einige sehr klare Gründe, warum ein Richter Untersuchungshaft verhängen kann und darf. Die Auslegung dieser Gründe ist dann schon wieder eine andere Sache. Die Gründe können sein, Fluchtgefahr, Tatbegehungsgefahr und etwa die Verabredungsgefahr. Das bedeutet, wenn der Richter der Ansicht ist, der Verdächtige könnte fliehen (also dem Prozess entziehen), oder die Tat (erneut) begehen oder aber Details über die Tat mit Außenstehenden oder „Verbündeten“ verabreden und somit Details vor der Justiz verbergen oder sich mit Komplizen verabreden, dann ist das ein Grund für die Untersuchungshaft. Nun stellen Sie sich vor, gegen Ihren Nachbarn wird plötzlich der Verdacht erhoben, er hätte Gelder veruntreut, einen Betrug gemacht, etc. Jedenfalls mit einer Schadenssumme, die der von Herrn Grasser gleichkommt. Wie viele Richter in Österreich denken Sie, würden von einer Untersuchungshaft bei ihm absehen? Ja, genau. Von 1000 keiner. Dann in einem derartigen Fall ließe sich für alle Haftgründe eine plausible Begründung finden. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit die Untersuchungshaft durch gelindere Mittel abzuwenden. Z.B. durch die Abgabe seines Reisepasses oder einer Kaution. Ich danke aber nicht, dass eine Kaution oder ein abgegebener Reisepass Herrn Grasser von einer Flucht abhalten hätte können. Es kam anders, was Viele verwunderte. Herr Grasser hat zwar bis dato noch keinen Tag in Haft verbracht, wird aber höchstwahrscheinlich in Haft kommen. Allerdings gibt es selbst hier wieder Möglichkeiten. Denn mit seinen Mitteln findet sich sehr schnell ein Gutachter, der ihm eine Haftuntauglichkeit bescheinigt, was im Grunde genommen nichts anderes ist als die berühmte, „Geh aus dem Gefängnis Karte“. Und selbst wenn er auch diese Möglichkeit nicht nutzen kann, so bezweifle ich, dass er jemals ein „richtiges“ Gefängnis von innen sehen wird. Herr Grasser ist der typische Insasse für den „Freigang“. Außenstellen von Anstalten mit deutlich lockeren Umständen und der Möglichkeit sehr viel Zeit außerhalb der Anstalt zu verbringen.

Ich könnte hier jetzt noch mehrere Beispiele im Detail nennen, das würde aber den Umfang des Artikels deutlich springen. Ich möchte nur Namen wie z.B. Flöttl, Bandion-Ortner, Krakow oder Elsner in Erinnerung rufen.

Was sagt uns das nun? Natürlich ist vor dem Gesetz jeder gleich. In der Theorie. Wenn man Promi ist, oder aber sich einen namhaften Anwalt leisten kann, dann ist man doch das kleine Quäntchen gleicher als andere. Woran das liegt? Ein Hauptgrund ist sicher, dass sogenannte „Verhandlungen“ keine wirklichen Verhandlungen im eigentlichen Sinne sind wie wir es aus Film und TV kennen. Im Grunde genommen steht bereits bei 99% der „Verhandlungen“ schon im Voraus fest, ob es zu einer Verurteilung kommt oder nicht. Hier ist es dann notwendig zu wissen, welcher Rechtsanwalt kann am besten mit Richter X oder Richter Y. Denn verstehen sich die beiden nicht, gibt’s auch kein gutes Urteil. So sieht die wahre Landschaft im Strafvollzug aus.

 

„Insassen haben Handys auf ihren Zellen“

Ja, richtig. Aber nur dann, wenn man sie durch (extrem) teures Geld hineinschmuggeln lässt. Diese Aussage ist natürlich vollkommener Blödsinn. Es gibt weder Mobiltelefone, Internet oder andere moderne Kommunikationsmittel in den einzelnen Hafträumen. Das einzige Mittel zur Kommunikation ist das gute alte Blatt Papier und der Stift.

Dieser Mythos ist wahrscheinlich deshalb entstanden, weil irgendwo in einem österreichischen Boulevardblatt mal über Elektrogeräte berichtet wurde, die hinter Gittern erlaubt sind. Da war unter anderem von Computern, Druckern und Spielekonsolen die Rede. Außerdem Kaffeemaschinen, Toaster, teilweise richtige Herde, Kühlschränke, etc. Da bei Computer nur Laptops erlaubt sind, kann man schon mal auf die Idee kommen, dass ja auch vielleicht Tablets erlaubt sind. Und wo Tablets erlaubt sind, ist der Schritt zu Smartphones nicht mehr weit. Nun, so ist es definitiv nicht. Das mit den Laptops, Druckern, Kaffeemaschinen, etc. stimmt. Warum auch nicht? Haftstrafe bedeutet noch immer Freiheitsentzug und nicht Entzug von Freiheit und den Entzug sämtlicher elektronischer Hilfsmittel, die heute zu unserem Alltag zählen.

Rein vom Gesetz her wären sogar Smartphones erlaubt. Diese lassen sich jedoch nicht mit der Überwachung vereinbaren. Obwohl das auch nicht stimmt, da man theoretisch nur solche freigeben könnte, bei denen man eine begrenzte Anzahl von Nummern einspeichert und das Wählen von anderen Nummern sowie andere Funktionen verbietet. Aber das ist eine andere Geschichte und liegt einfach nur am Willen der IT Verantwortlichen.

Um zu telefonieren, gibt es in allen Anstalten auf jeder Abteilung ein Telefon. Das hängt normalweise irgendwo am Gang und ist für alle Insassen zugänglich. Die Verrechnung erfolgt nicht über Karte oder gar Münzen, sondern über ein Telefonkonto. Die gesamte Abwicklung erfolgt über einen externen Telefonanbieter. Zurzeit ist das die Firma PKE, die speziell in den Anstalten Preise verlangt wo sich jeder Insasse dreimal überlegt ob er tatsächlich anruft oder nicht. Die Justiz – ein perfektes Geschäftsmodell. Monopolstellung bei Telefonen und dem Einkauf (Ausspeise Firma Kienast) und die Möglichkeit die Preise zu diktieren. Die Insassen können ja nicht auf alternative Anbieter ausweichen. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Zurück zu den Handys. Einzige Möglichkeit bliebt hier wirklich der Schmuggel um an ein Handy zu kommen. Über die Wege des Reinbringens und ein Interview mit einem mittlerweile entlassenen „Schmuggler“ aus Deutschland, berichten wir übrigens in unserer zweiten Podcast Episode. Das Schmuggeln an sich wird dann aber meistens nicht vom Käufer des Handys selbst durchgeführt. Dafür gibt es eigene Leute. Möglicherweise müssen bestimmte Personen durch finanzielle Zuwendungen davon überzeugt werden, einmal kurz die Augen zu schließen, etc. Deshalb kann es schon mal vorkommen, dass ein mittlerweile sehr veraltetes Mobiltelefon in der Art eines Nokia 3210 bis zu €500 kostet. Bessere Geräte wie Smartphones sind dann meistens gar nicht mehr zu bezahlen. Apropos Bezahlung. Die erfolgt entweder durch Überweisung von draußen oder aber auch durch Bargeld.

Sie fragen sich was ein Insasse mit Bargeld macht? Nun, er tauscht es bei Personen um, die auf Ausgang gehen. Der aktuelle Kurs ist 1:2. Will heißen, für 10 Euro bekomme ich Waren im Gegenwert von 20 Euro. Auch recht lukrativ, wenn man es sich leisten kann. Da sind schon einige Leute reich damit geworden.

 

„Zellengrößen“

Es gibt eine klare Vorschrift wie groß Hafträume sein müssen. Das ist ein EU Gesetz und da Österreich zur EU gehört, hat sich das Land auch an diese Gesetze zu halten. Ja, eigentlich schon. Nur Österreich schert sich einen „Dreck“ um EU Gesetze wenn es den Strafvollzug betrifft. Denn nach diesem sind z.B. auch Stockbetten in Hafträumen nicht erlaubt. Werfen sie mal einen Blick in die Justizanstalt Josefstadt in Wien und zählen wie viele Stockbetten Sie dort finden…

Aber auch Österreich hat ein Gesetz in dem klar definiert und geregelt ist wie groß ein Haftraum zu sein hat. Allerdings gibt es auch da ein kleines aber entscheidendes „Aber“. Denn in der Regelung steht nirgendwo etwas über Quadratmeter, sondern nur über Kubikmeter.

Wie beeinflusst das nun die Haftraumgröße? Ganz einfach. Nehmen wir an, sie wohnen auf einer Fläche von 80m². Dann sind das meistens ein Vorraum, ein Badezimmer, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer. Manchmal sogar noch ein extra Zimmer für Kinder. Haben Sie einen derartigen Plan einer Wohnung im Kopf? Gut, denn nun stellen Sie sich vor, dass dieselbe Größe in Kubikmetern angegeben wird, also nicht nur Länge x Breite, sondern auch noch die Höhe dazugerechnet wird. In so einem Fall kann ich die Wohnung gut und gerne auf die Hälfte verkleinern und habe noch immer dieselbe Größe in Kubikmetern. Genauso ist es in den Hafträumen. Insassen stet ein bestimmter Anteil an Frischluft und Platz zu. Beides ist in Kubikmetern geregelt. Das kommt der Justiz natürlich unheimlich zugute. Denn fast alle Gefängnisse sind in alten Gemäuern untergebracht wo die Räume deutlich höher sind, als in modernen Gebäuden. Ein Umstand wie man auf engstem Raum mehrere Personen unterbringen kann und dennoch nicht gegen geltendes Recht verstößt.

Und apropos mehrere Insassen. Es ist ebenso ein Mythos, dass es nur Einzelhafträume gibt. Diese gibt es natürlich, aber sie sind äußerst begehrt. Die meisten Insassen sind in Hafträumen für zwei, vier, sechs oder zehn Insassen untergebracht.

Bezüglich des Platzes sollten Sie einmal einen Blick in die Hafträume der Justizanstalt Graz – Karlau werfen. Josefstadt ist auch ein guter Tipp, wenn man sehen will wie in eigentlichen Einzelhafträumen zwei Menschen eingepfercht werden.

 

„Jeder Insasse wird rund um versorgt“

Grundsätzlich ist es so, dass von der Theorie her jeder Insasse dreimal am Tag Essen bekommt, medizinisch seinen Bedürfnissen entsprechend versorgt wird und zusätzlich sämtlichen benötigten Hygieneartikel erhält, sollte er sich das nicht selbst leisten können.

Toll, wie das klingt. Dreimal am Tag ein Essen, ein Bett in dem man schlafen kann, dazu meistens noch ein Fernseher, ein Supermarkt zum Einkaufen, etc. Der Begriff „Urlaub auf Staatskosten“ bekommt da ja eine ganz neue Bedeutung.

Dass es in der Realität freilich ganz anders aussieht, wird meistens von der Justiz verschwiegen. Denn das mit den drei Essen am Tag relativiert sich schon wieder, wenn man sich die gängige Praxis ansieht. Die sieht nämlich folgendermaßen aus. Es gibt Mittag- und Abendessen. Zu Mittag wird mehrmals in der Woche Brot ausgegeben (manchmal auch Semmeln). Das, sollte man meinen, ist für das Abendessen gedacht, was auch stimmt. Doch das Brot muss man sich auch für das Frühstück aufheben, denn eine richtige Frühstücksausgabe gibt es nicht. In manchen Anstalten wird das Brot tatsächlich in der Früh ausgeben, was aber noch immer nicht heißt, dass man dadurch drei komplette Mahlzeiten erhält, da man sich ja noch immer das Brot aufheben muss.

Zum Frühstück gibt es einmal im Quartal einen Becher Margarine und entweder eine Tube Honig oder ein Glas 08/15 Nougatcreme. Hauptbestandteil in beiden zu etwa 90% Zucker. Die Justiz betont gerne, dass sämtliche Mahlzeiten ausgewogen und modernen Ernährungsstandards entsprechen und von Ernährungsexperten erstellt wurden. Nun, das mag vielleicht für den Standard 1924, aber nicht 2024 zutreffen. Und bei den Ernährungsexperten bin ich mir nicht sicher, ob die nicht vielleicht ein wenig an einer Substanzproblematik leiden. Denn im nüchternen Zustand kann man eine derartige Verpflegung nicht gutheißen. Selbiges gilt übrigens auch für die Chefärztin der Justiz im Ministerium, die diese Pläne auch kennt.

Dann kommt das Mittagessen, das man mögen kann oder aber auch nicht. Über die Qualität in bestimmten Anstalten haben wir bereits mehrfach berichtet. Wer sich gerne mal Fotos von Essen hinter Gittern ansehen möchte, kann dies gerne auf unserer Webseite www.inmates-shelter.info tun. In der Rubrik „Welche Mahlzeit versauen wir heute?“ gibt’s einige nette Beispiele. Auch für das Mittagessen gilt in Punkto Ausgewogenheit und Inhaltsstoffe dasselbe wie für das Frühstück. Davon kann keine Rede sein.

Kommen wir zum Abendessen, das auch in den verschiedensten Anstalten deutlich variiert. So gibt es in der Justizanstalt Josefstadt meistens irgendeinen selbst fabrizierten Aufstrich oder Aufstrichdosen. Normalerweise sollte in jeder Anstalt zweimal pro Woche eine warme Mahlzeit am Abend ausgeben werden, Anstalten wie z.B. die Karlau setzen sich jedoch über diese Regelung gekonnt hinweg. Dort gibt es abends meistens Hartkäse, Streichkäse, eine Scheibe Wurst oder auch Aufstriche. Natürlich nicht alles zusammen. Einmal das, am nächsten Tag das Andere.

Damit kommen wir zur persönlichen Hygiene. Es ist schon richtig, dass jedem Insassen in der Theorie ein sogenanntes Hygienepaket einmal im Quartal zusteht. Dieses umfasst ein Duschgel, Zahnbürste, Zahncreme, Seife, Rasiercreme, ein paar Einwegrasierer sowie Toilettenpapier. Das Problem ist hier halt auch, dass sich nicht wirklich jede Anstalt an diese Vorgaben hält. Auch hier kochen die unterschiedlichen Verantwortlichen ihr eigenes perfides Süppchen. Keine Ahnung was mit den Produkten gemacht wird, die nicht ausgegeben werden. Aber vielleicht verdient man als Verantwortlicher in der Justiz so wenig, dass man Insassen das Toilettenpapier wegnehmen muss.

Damit kommen wir zum letzten Thema, der medizinischen Versorgung. Grundsätzlich ist die nicht schlecht und das meine ich jetzt gar nicht sarkastisch. So gut wie jeder Anstaltsarzt ist engagiert und auch kompetent. Natürlich gibt es immer wieder schwarze Schafe, aber in der Regel kümmern sich die Mediziner um ihre Pateinten. Das große Problem ist der Machtkampf in der Justiz. Justizwachebeamte, die der Meinung sind, sie wäre klüger als der Arzt und wüssten, was für einen Insassen gut ist. Nun, sie wissen es nicht, denn sonst wäre sie Arzt geworden und wären nicht bei der Justiz geendet. Dennoch werden Ärzten immer wieder massive Steine in den Weg gelegt. Auch hierüber haben wir schon berichtet.

Da gibt es hier den Offizier X, der sich profilieren will und deshalb eine notwendige Untersuchung oder Behandlung nicht genehmig um etwas Geld zu sparen. Auf der anderen Seite wird das Geld aber für äußerst fragwürdige Projekte aus dem Fenster geworfen. Egal ob es der Offizier X, Y oder auch Z ist. Irgendwo gibt es immer einen Verantwortlichen, der dem medizinischen Personal Steine in den Weg legt.

 

Etwas wollte ich in eigener Angelegenheit noch anbringen. Dieser Artikel ist sehr auf den österreichischen Strafvollzug ausgerichtet, auch wenn wir als Verein eher auf europäischer Ebene agieren wollen. Deshalb möchte ich euch noch ersuchen, uns Themen über den Strafvollzug in anderen europäischen Ländern zu senden damit wir in Zukunft auch aussagekräftige Vergleiche anstellen können. Bis dato beschränken sich unsere Kenntnisse auf Österreich, Deutschland, ein wenig Spanien und außerdem das Baltikum mit Lettland, Estland und Litauen. Danke.


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