Das kranke Gsundheitssystem

ms • 20. März 2025

Das kranke Gesundheitssystem unserer Justiz

 

Eine Haft ist von vorneherein eine massive Einschränkung im Alltag einer Familie. Nicht nur, dass der eigentliche Straftäter mit der Haft bestraft wird, wird auch die Familie bestraft. Der Entzug der sozialen Kontakte, der plötzliche Wegfall eines dringend benötigten Einkommens, etc. All das sind Dinge, mit denen sich das soziale Umfeld eines Straftäters herumschlagen muss. Die Haft an sich, das Wegsperren, ist bei den meisten schon nach kurzer Zeit keine Strafe mehr, da sich jeder Mensch mit der Zeit an Situationen anpasst und sich daran gewöhnt.

 

Was allerdings passiert, wenn einer der Insassen krank wird. Wir haben uns aktuell mehrere Fälle vorgenommen und analysiert, um aufzuzeigen, dass offensichtlich bei uns die Nelson Mandela Regel 24(1) nicht gilt.

Von den aktuell ungefähr 9000 Insassen in österreichischen Justizanstalten sind ungefähr 500 krank. Die Hälfte davon schwer. Das Justizministerium gibt unterhält keine aktuellen Statistiken über Krankheitsfälle in Justizanstalten. Allerding können wir aufgrund von Meldungen von Insassen und Beamten Rückschlüsse auf die Zahl machen.

 

Wenn man in Freiheit erkrankt, dann gibt es grundsätzlich mehrere Möglichkeiten. Je nach Art und Schwere der Erkrankung wird man entweder selbst einen Arzt aufsuchen oder im schlimmen Fällen den Notarzt oder sogar die Rettung rufen. Die Behandlung erfolgt dann beim Arzt, vor Ort oder in einem Krankenhaus. Grundsätzlich läuft das auch in Justizanstalten so ab, allerdings ist das Prozedere deutlich umfangreicher als in Freiheit.

 

In Freiheit reicht ein Anruf beim Arzt, um einen Termin auszumachen oder eben z.B. bei der Rettung, um einen Notfall bekanntzugeben. Bei nicht unmittelbar sofort ersichtlichen Notfällen läuft dieses Prozedere in Haft etwas anders ab. Ein unmittelbar ersichtlicher Notfall ist z.B., wenn jemand mit seinem Kopf unter dem Arm zum Arzt kommt. Beleuchten wir nun, was ein Insasse tun muss, um zum Arzt vorgeführt zu werden.

 

Zuerst muss einmal die Meldung erfolgen. Im Normalfall erfolgt dies beim „Aufschluss“ in der Früh. Dies ist die Standeskontrolle, wo sich ein Beamter vergewissern muss, dass alle in einem Haftraum inhaftierten Personen noch am Leben sind. Hier muss der Insasse dem Beamten melden, dass er krank ist und einen Arzt benötigt. Dies erfolgt meistens mittels eigens dafür vorgesehen Formular (StpOForm XXX) oder auch mündlich, wenn de r Insasse entweder der deutschen Sprache nicht mächtig ist oder auch nicht schreiben kann. In dringenden Fällen gibt es auch noch die Möglichkeit die Notfallglocke zu betätigen. Dies muss man sowieso in Fällen, die nach 14.30 passieren, da dann bereits der „Nachtdienst“ übernommen hat und die Hafträume verschlossen sind. Aber dazu später.

 

Der Beamte in der Früh sammelt sämtliche Papiere (auch Briefe, etc) ein und nimmt sie mit ins Dienstzimmer. Dort werden sie Vorsortiert. Also z.B. werden Briefe und persönliche Schreiben auf die Seite gelegt und zur Poststelle gebracht. Ansuchen für den Arzt werden in die Krankenabteilung gebracht. Der Diensthabende Beame der Abteilung macht sich nun am Vormittag mit sämtlichen Briefen, Dokumenten und Ansuchen auf den Weg in die Verteilerstelle. Dort gibt er seine eingesammelten Papiere ab und somit ist seine Arbeit damit erledigt. Ab hier übernimmt ein anderer Beamter. Dieser verteilt nun die Papiere in die Postfächer der zuständigen Abteilung. In unserem Fall natürlich die Krankenabteilung. Ein Beamter er besagten Krankenabteilung macht natürlich genau dasselbe mit dem auf seiner Abteilung eingesammelten Papieren und nimmt im Idealfall auch gleich die Ansuchen für seine Abteilung mit. Gehen wir einmal vom Idealfall aus, so werden sämtliche Ansuchen für den Arzt im Dienstzimmer der Krankenabteilung erneut sortiert. Hier wird unterschieden ob z.B. um einen Allgemeinmediziner, Zahnarzt oder auch Psychiater angesucht wurde. Nach dieser erneuten Sortierung werden die Ansuchen an die zuständigen Personen weitergeleitet.

 

Dies sind allerdings noch nicht die Mediziner. Zuvor wird in den meisten Fällen eine erneute Vorsortierung von Seiten der Pflegekräfte gemacht. Das heißt, der Pfleger entscheidet über die Wichtigkeit und Dringlichkeit von derartigen Ansuchen. Hier ist es für den Insassen also wichtig, gleich vorweg in der Begründung für sein Ansuchen am Papier genau und detailliert bekanntzugeben, warum er den Arzt sprechen möchte. Allerdings stellt auch eine gute Begründung keine Garantie dar. Die Entscheidung hier obliegt noch immer der Vorsortierung.

 

Hat der Arzt nun endlich das Ansuchen in die Hände bekommen, so hat es meistens schon einen langen Weg hinter sich und ist durch sehr viele andere Hände gegangen. Wobei allerdings nicht gesichert ist, dass der Arzt das Ansuchen überhaupt in die Hände bekommt. Denn nun kommt es zur Vorführung des Insassen.

 

Dies läuft in der Regel so ab, dass der Insasse an diesem Tag nicht arbeiten gehen darf. Hat er zu dem Zeitpunkt, in dem die Insassen zum Arzt geführt werden Besuch oder ein Gespräch mit einem Sozialarbeiter, so hat er Pech gehabt und muss am nächsten Tag erneut um Vorführung zum Arzt ansuchen. Gehen wir aber davon aus, dass eine Vorführung erfolgt, so wird er gemeinsam mit sämtlichen anderen Insassen, die sich für den Arzt gemeldet haben, in die Krankenabteilung geführt. Wir kennen nicht alle Krankenabteilungen in Österreich, aber einige. Von denen wissen wir, dass in keiner davon eine Sitzgelegenheit für die Insassen vorhanden ist. Das kann bei Problemen mit Beinen, Hüften, etc. zum Problem werden. Hier warten nun in der Regel zwischen 15 und 30 Personen vor dem Behandlungsraum des Arztes, bis sie aufgerufen werden. Auch hier erfolgt der Aufruf nicht nach dem Zeitpunkt des Eintreffens, sondern nach Dringlichkeit. Allerdings entscheidet der Pfleger über die Dringlichkeit. Man steht also oft zwischen mindestens einer halben bis zu mehr als zwei Stunden vor dem Behandlungsraum und wartet auf den Aufruf. In Zeiten von Grippe oder Corona ist und war das natürlich ganz spannend.

 

Wird man schließlich dann aufgerufen, so bietet sich einem ein recht beängstigendes Bild. Mit einem herkömmlichen Arztbesuch hat das nun nichts mehr zu tun. Wobei wir hier ausdrücklich darauf hinweisen möchten und müssen, dass dies nicht an den Medizinern selbst liegt. Diese sind in den meisten Fällen durchaus engagiert und bemüht.

Das Behandlungszimmer sieht meistens nicht wirklich anders aus wie die in Freiheit. Ein Schreibtisch, mehrere Schränke, meistens eine Liegebank sowie diverse medizinische Geräte.

Der große und entscheidende Unterschied ist, dass das Gespräch mit dem Arzt nicht vertraulicher Natur ist. Abgesehen von meistens mehreren Pflegern und Schwestern sind auch immer mindestens noch ein Beamter anwesend, der entweder als „Schriftführer“ oder auch einfach nur als „Aufpasser“ fungiert. Meistens sind es aber auch mehrere Beamte, die entweder gerade mit einem anderen Beamten, der Schwester oder einem Pfleger Kaffee trinken, sich gegenseitig Geschichten erzählen, etc., Was ebenfalls sehr oft vorkommt ist, dass einer der Beamten in das Gespräch platzt weil er sich einbildet, dass seine medizinische Frage nun doch um Einiges wichtiger ist, als die des Insassen.

 

Nachdem man dem Arzt vor sämtlichen anwesenden Personen, zu denen auch manchmal andere Insassen gehören, seine Probleme geschildert hat, wird von ihm darauf reagiert. Man erhält also die Behandlung. Warum können auch andere Insassen anwesend sein? Nun, es passiert, dass mehrere Insassen vorgelassen werden und es gibt auch die sogenannten „Hausarbeiter“. Im Grunde genommen nicht mehr als Putzkräfte, die die Räumlichkeiten sauber halten. Hier kann es schon vorkommen, dass einer von ihnen gerade putzt, wenn man seine Probleme mit dem Arzt besprechen will.

 

Übrigens, dass Insassen oftmals wegen der schlechten bzw. ungesunden Verpflegung krank werden, isst kein Geheimnis.



Ein Ei und ein Paprika als Abendessen ist nicht wirklich eine gesunde, ausgewogene Ernährung

Also, nicht nur dass der Arzt und einige Pfleger und Schwestern von den Problemen Bescheid wissen, ist auch zumindest immer ein Beamter darüber informiert. Ob der diese Dinge dann mit seinen Kollegen und/oder seiner Familie bespricht, entzieht sich unserer Kenntnis. Wir möchten hier auch darauf hinweisen, dass es durchaus üblich ist, dass der anwesende Beamte nicht vom selben Geschlecht ist. Es kann also durchaus sein, dass ein männlicher Insasse bestimmte „Männerprobleme“ vor einer Beamtin besprechen muss. Umgekehrt ist uns das allerdings noch nicht berichtet worden. Ist das Gleichberechtigung?

 



Auch das scheint nicht allzu gesund zu sein. Was auch immer das sein mag.

Entscheidet der Arzt, dass es sich um einen dringenden Fall handelt, so wird der Insasse ausgeführt. Meistens in eines der umliegenden Krankenhäuser oder einem der Fachärzte um Umkreis. Hierfür müssen wiederum extra Termine ausgemacht werden. In den wenigsten Fällen passiert dies gleich. Einer dieser Fälle ist der schon vorher erwähnte Kopf unter dem Arm.

 

Im Grunde genommen kann man sagen, dass man bei gesundheitlichen Problemen oft sehr lange wartet, bis man eine Behandlung bekommt. Uns sind Fälle bekannt in denen z.B. eine Behandlung einer Mittelohrentzündung über mehr als eine Woche hinausgeschoben wurde. Akute Nierenprobleme wurden erst nach mehreren Wochen diagnostiziert und uns ist auch ein Fall bekannt in denen ein Infarkt schlicht und einfach mit der Bemerkung „der simuliert nur“ ignoriert wurde.

 

Natürlich, man muss auch die andere Seite sehen. Und die ist in der Regel auch nicht schön. Viele Insassen lassen sich einfach nur aus Langeweile zum Arzt aufschreiben. Wenn man rund um die Uhr in seinem Haftraum eingesperrt ist, dann kommt man auf die kreativsten Ideen. Eine Ablenkung vom Alltag ist nun einmal der Arzt. Dort wird dann halt irgendeine Krankheit erfunden. Man hat Husten, eine Erkältung, Bauchschmerzen, etc. Es gibt hier viele Möglichkeiten. Natürlich passiert es auch oft, dass sich Insassen selbst verletzen um dann zu einem Arzt zu kommen. Ob dies so klug ist, sei dahingestellt.

 

Fakt jedoch ist, dass durch diese tatsächlich simulierten Krankheiten die wirklich Kranken oft nicht die Behandlung erhalten, die sie eigentlich erhalten müssten.

 

Eine andere, wirklich interessante Frage ist, was ein Insasse machen kann, wenn er mit dem Anstaltsarzt nicht klarkommt. In Freiheit geht man einfach zu einem anderen Arzt. Diese Möglichkeit steht in der Theorie auch einem Insassen zu. Zumindest bietet das StVG die Möglichkeit für den Insassen, einen Wahlarzt zu beauftragen. Daran sind aber einige Voraussetzungen geknüpft. Auch hierfür muss der Insasse natürlich ansuchen (StPOForm 11). Nun obliegt es den Verantwortlichen Beamten zu entscheiden, ob eine derartige Ausführung zu einem Wahlarzt notwendig ist. Die Ausführung muss der Insasse natürlich selbst bezahlen. Abgesehen von den Kosten für den Arzt kommen die Kosten für die Ausführung hinzu. Dies ist der Bus, in dem man transportiert wird und die mindestens zwei Beamten, die mitfahren. Also auch bei einem Wahlarzt hat man das Manko, dass dort immer auch fremde Personen anwesend sind. Außerdem kommt hier, so wie auch bei Ausführungen in Krankenhäuser, noch dazu, dass man immer der Öffentlichkeit preisgegeben ist. Normalerweise sind persönliche Daten von Insassen, wie z.B. der Name, etc., vertraulich und dürfen der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden. Dass dies in Krankenhäusern oder bei Wahlärzten in 99% der Fälle nicht so ist, kann man sich denken. Denn egal ob nun der Name auf einem Monitor erscheint oder von einer Schwester aufgerufen wird, die Öffentlichkeit sieht den Insassen immer mit den Beamten und kennt nun auch seinen Namen.

 

Die Nelson Mandela Regal 24(1) ist zwar recht schön und gut, aber sie findet in vielen Fällen in Österreich keine Anwendung. Abschließend möchten wir nochmals darauf hinweisen, dass sämtliche Allgemeinmediziner in Justizanstalten, die uns persönlich bekannt sind, wir als äußerst engagiert kennen.

 

Nicht zuletzt möchten wir auch darauf hinweisen, dass es in Österreich seit dem Jahr 2000 einen massiven Anstieg an Verurteilungen zur Maßnahme gem. §21 sowie einen ebenfalls massiven Anstieg an versuchten und durchgeführten Suiziden gegeben hat. Eine durchaus erschreckende Entwicklung.

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